Wer immer tut, was er schon kann, bleibt immer das, was er schon ist.

— Henry Ford

Nikolas B. S. Schrader Nikolas B. S. Schrader

Interhospitaltransfer

Als Interhospitaltransfer wird der sekundäre Transport eines Patienten aus einem Krankenhaus bzw. einer medizinischen Einrichtung in ein Weiteres bezeichnet. Ursächlich für die sekundäre Verlegungsnotwendigkeit können beispielsweise eine spezialisierte oder weiterführende medizinische Versorgung (z.B. spezialisierte Therapie, Operation, Intensivtherapie, Rehabilitationsmaßnahmen, u.a....), welche von der verlegenden Institution nicht gewährleistet werden kann, Kapazitätsengpässe oder heimatnahe Verlegungen sein.1 Anhand der Versorgungsstufe (I: Grundversorgung, II: Schwerpunktversorgung, III: Maximalversorgung) der beteiligten Einrichtungen werden horizontale (Institutionen mit derselben Versorgungsebene) von vertikalen Verlegungen (Institutionen unterschiedlicher Versorgungsebene – „Auf-“ vs. „Abwärtsverlegung“) differenziert.2 Hinsichtlich der professionellen Transportbesatzung werden weiterhin nicht-, arztbegleitete sowie der Intensivtransport unterschieden:

  • nicht-arztbegleitet z.B. (Taxi, ) Krankentransportwagen (KTW), Rettungswagen (RTW)
  • arztbegleitet z.B. Rettungswagen (RTW) und (Klinikarzt, ) Diensthabender Notarzt bzw. Verlegungsnotarzt, Intensivtransportwagen (ITW), Rettungs- bzw. Intensivtransporthubschrauber (RTH bzw. ITH)

Die Auswahl des entsprechenden Transportmittels wird insbesondere anhand von Dringlichkeit (nicht disponibel: Transportbeginn spätestens nach zwei Stunden nach Alarmierung vs. disponibel) sowie des aktuellen Patientenzustandes getroffen.3 Für die Planung und Durchführung muss jedoch auch beachtet werden, dass Patiententransporte auch entsprechende „Transporttraumata“ verursachen können. Diese Risiken setzen sich insbesondere aus Missgeschicken, inadäquaten Transportbedingungen, Transportstress und beispielsweise auch durch Verschlechterung im Rahmen des spontanen Erkrankungsverlaufs zusammen.4


Status quo einer Verlegung

Nachdem durch einen Arzt in der verlegenden Klinik die Indikation zur Patientenverlegung gestellt wurde (vgl. o.g. Indikationen), erfolgen i.d.R. folgende Schritte: vgl. 3

  1. Identifikation eines geeigneten Zielkrankenhaus und individualisierte Vorstellung
  2. Zusage zur Übernahme und weiteren Therapie durch das Zielkrankenhaus
  3. Anmeldung eines Transportes bei der für die verlegende Klinik zuständigen Leitstelle
    • Primäre Abfrage von Transportdringlichkeit und Angemessenheit (arztbegleiteter Notfalltransport i.d.R. als Rendezvous von RTW und Notarzt nach § 4 Satz 1 des AVBayRDG 5)
    • Bei disponiblen Transporten algorithmenbasierte Leitstellenzuteilung des Transports an verfügbares VEF bzw. ITW mit (un-) mittelbarer Übergabe von Dringlichkeit, grundlegenden Patienteninformationen und Kontaktdaten beteiligter Kliniken
    • Bzw. Übermittlung der Einsatzabfrage via Fax und Telefon an integrierte Leitstelle, welche das Transportmittel führt
  4. Telefonisches Arzt-zu-Arzt-Gespräch zwischen Transportarzt sowie Klinikärzten von verlegender und aufnehmender Klinik
    • Erneute Abfrage von medizinischen Informationen bezüglich des Patienten
    • Empfehlungen zur individualisierten Transportvorbereitung bzw. notwendiger Therapieoptimierung
    • Empfohlene standardisierte (handschriftliche) Dokumentation des Arzt-zu-Arzt-Gesprächs6
    • Spezifische Evaluation des Transports / -risikos und Entscheidung über eigene bzw. Transportmitteleignung zur Durchführung
  5. Rückmeldung an Rettungsleitstelle über Einsatzübernahme bzw. Einsatzneudisposition bei besserer Eignung eines anderen Transportmittels
    • Ggf. erneute Durchführung von (4) durch die Besatzung des neu zugeteilten Transportmittels. Zur Vereinfachung sollte der Dokumentationsbogen des Arzt-Arzt-Gesprächs über die Leitstelle weitergeleitet werden damit Fragen nicht erneut gestellt werden müssen und der Grund zur Transportablehnung bekannt ist
    • Bei Dissens beteiligter Transportärzte über die Eignung des Transportmittels, muss auf Weisung der Leitstelle das höher qualifizierte Einsatzmittel den Transport übernehmen
    • Ggf. erneute telefonische Abklärung des aktuellen Patientenstatus, Übernahmemöglichkeit der Zielklinik und Reevaluation der Transportmitteleignung bei disponiblen, längerfristig geplanten Transporten
  6. Alarmierung eines Transportmittels
    • VEF: Alarmierung von Verlegungsnotarzt durch die für das Fahrzeug zuständige Leitstelle und Rendezvous mit RTW aus dem Leitstellenbereich der verlegenden Institution
  7. Patientenübergabe am Patientenbett mit verlegendem Arzt, Pflege, Transportarzt und Team, Transportdurchführung, anschließend erneuter Übergabe im gesamten Team sowie Einsatznachbereitung
    • Nachdem die medizinische Verantwortung für den Patienten während des Transports beim durchführenden Transportarzt liegt, ist eine Ablehnung der Transportübernahme durch den Transportarzt auch noch am Patientenbett möglich

Auftragserfassung

Telefonische Anmeldung eines Transportauftrags durch verlegenden Arzt mit primärer Festlegung der Dringlichkeit und notwendiger ärztlicher Betreuung

Informationsweitergabe

Algorithmenbasierte Leitstellenzuteilung eines Transportmittels und Information via Funk, Telefon bzw. Fax

Transportärztliche Beurteilung

Telefonisches Arztgespräch mit verlegender und aufnehmender Institution und Bewertung von insbesondere Dringlichkeit und Angemessenheit

Dokumentation

Idealerweise standardisierte, handschriftliche Dokumentation und, bei fehlender eigener Transportübernahme, Dokumentationsweiterleitung an Leitstelle via Fax


Probleme

In der Vergangenheit wurden bereits verschiedene Faktoren und Konstellationen für einen sicheren Patiententransport identifiziert und optimiert. Dazu zählen strenge Transportindikationen, adaptierte Transportmittelselektion, individualisierte Transportvorbereitung, sowohl für den Patienten als auch den konkreten Transport optimierte Therapie und Überwachung, qualifiziertes Personal, angemessene technische Ausstattung (inklusive Redundanz), sorgfältige Dokumentation und Qualitätsmanagement. Ebenso umfass dies die Antizipation und Prävention von kritischen Situationen während eines Transports.

Bereits vor der Durchführung des eigentlichen Transports kann allerdings auch weiterhin Optimierungspotential in der Auftragserfassung und -evaluation identifiziert werden:

  • Ineffiziente Informationsübermittlung durch wiederholte Übergabe / Abfrage von Patientendaten: Suche eines geeigneten Zielkrankenhaus, Initiale Transportanmeldung bei einer Leitstelle, Sekundäre Transportabklärung durch Transportarzt (ggf. mit Wiederholungen durch unterschiedliche Transportmittel), ggf. Reevaluation durch endgültiges Transportteam
  • Fehlerhafte bzw. fehlende Informationen durch mündliche, telefonische Datenerfassung und Informationsweitergabe („Flüsterpost“): z.B. falsche Namen oder Telefonnummern bzw. Umgehen von Dokumentation erforderlicher Daten
  • Intransparenz bereits erfolgter Gespräche durch fehlende bzw. handschriftliche Dokumentationen: z.B. fehlende technische Verfügbarkeit eines Faxgeräts zur Übermittlung handschriftlicher Dokumentationen während des Patiententransports bzw. erschwertes Entziffern von Handschrift
  • Erschwerte Aktualisierungsmöglichkeiten von Patienteninformationen durch die verlegende Klinik (Kommunikation mit dem Transportteam ist nur über die Leitstelle vorgesehen und mit erhöhtem Aufwand verbunden)
  • Fehlende Einsicht in schriftlich dokumentierte, erwünschte Transportvorbereitungen
  • Fehlende standardisierte Transportvorbereitungen

Optimierungspotential

Aufgrund zunehmender medizinischer Ökonomisierung und Spezialisierung in Zentren ist auch in Zukunft ein weiterer Anstieg der Sekundärtransporte zu erwarten. Durch Entwicklung digitaler Systeme zur Vorbereitung und Durchführung planbarer Patientenverlegungen könnten deutliche Optimierungen in Effizienz, Datenqualität und Sicherheit, Transparenz, und damit verbunden - auch die allgemeine Patientensicherheit - erreicht werden.

Datenqualität

  • Entwicklung eines strukturierten, digitalen Formulars zur Anamnese und Dokumentation eines zu verlegenden Patienten
  • Idealerweise standardisierte Informationsabfrage entweder Regel-basiert oder mit Unterstützung künstlicher Intelligenz und Reaktion auf bereits dokumentierte Informationen
  • Durch permanenten Zugriff auf die Daten könnten relevante Informationen durch die verlegenden Kliniken aktualisiert werden und z.B. durch automatisierte Benachrichtigung an beteiligte Institutionen weitergeleitet werden

Datensicherheit

  • Sofortige Verschlüsselung erhobener, digitaler Daten (vs. Datenverlust z.B. druch Liegenlassen eines handschriftlichen Papiers)
  • Bedarfsadaptierte Übermittlung nur von (Teil-)Datensätzen z.B. ist für die primäre Übernahme- bzw. Transportevaluation die Patientenidentität nicht zwingend erforderlich
  • Zugriffsberechtigungen auf Datensätze können in digitaler Form entsprechend der Notwendigkeit erweitert und reduziert werden
    • Primäre Dokumentenhoheit durch verlegende Institution
    • Für die Übernahmeevaluation bzw. Transportevaluation könnte digitaler Zugriff auf die Daten an diverse Zielkliniken bzw. an beteiligte Leitstellen und Transportteams ermöglicht werden, ohne dass sie vollständig übermittelt werden müssen
    • Ist der Zugriff nicht mehr erforderlich (z.B. keine Übernahme des Patienten oder Transportablehnung) könnte der Zugriff wieder entzogen werden

Effizienz

  • Keine bzw. reduziertes Risiko für fehlerhafte Daten durch schriftliche, digitale Dokumentation
  • Gleiche Informationen müssen nicht mehrfach abgefragt werden
  • Veränderungen von relevanten Informationen können ggf. frühzeitig übermittelt werden
  • Automatisierte Reaktionen auf z.B. Transportzusagen

Transparenz

  • Transportvorbereitungen könnten durch ein standardisiertes System verbessert werden (z.B. Arztbrief fertigstellen, radiologische Befunde bereitstellen, ...)
  • Notwendige Patientenoptimierungen können schriftlich festgehalten und eingesehen werden (z.B. Bluttransfusionen)
  • Bereits erfolgte Interaktionen können nachvollzogen werden (z.B. Gründe einer Transportablehnung eines zuvor involvierten Teams)

Die Notfallverlegung eines Patienten wird allerdings auch in Zukunft nur mit telefonischer Anforderung bei einer entsprechenden Leitstelle effizient sein.


  1. M. Monnig, J. C. Brokmann, Stefan Poloczek: Intra- und Interhospitaltransport von Intensivpatienten, Die Anästhesiologie, 2018 (im Internet, Stand 01.05.2024)

  2. Bayerisches Staatsministerium für Gesundheit und Pflege: Krankenhäuser in Bayern (Stand 01.05.2024)

  3. Bayerisches Staatsministerium des Innern: Einsatzlenkung des arztbegleiteten Patiententransports in Bayern, 2013 (im Internet)

  4. S. Poloczek: Interhospitaltransfer von Intensivpatienten, Anästhesiologie & Intensivmedizin, 2000

  5. Bayerische Staatskanzlei: AVBayRDG § 4 Dispositionsgrundsätze (im Internet)

  6. Bayerisches Staatsministerium des Innern / AG Interhospitaltransfer: Strukturiertes Arzt-Arzt-Gespräch für den arztbegleiteten Patiententransport (Stand 08.02.2013)

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